Für viele Regierungen ist klar: Die Auswirkungen der Klimaerwärmung müssen auch mit neuen Technologien bekämpft werden. Rechtfertigt es aber der Klimanotstand, diese noch weitgehend unerprobten Mittel einzusetzen?
Text: Patricia Michaud
Die Erwärmung unseres Planeten auf 1,5 Grad Celsius beschränken, und die CO2-Emissionen bis 2050 auf null senken: Die meisten Fachleute sind sich einig, dass schnell und rigoros gehandelt werden muss, um den Klimawandel zu begrenzen. Viele Menschen neigen in einem ersten Reflex dazu, lokale Produkte zu konsumieren oder nicht mit dem Flugzeug ins verlängerte Wochenende zu fliegen. Aber auch wenn solche Massnahmen von vielen getroffen werden, reicht das kaum aus. In weiten Teilen der Wissenschaft und Politik dominiert die Ansicht, dass die vom Weltklimarat (IPCC) sowie von vielen nationalen Regierungen – einschliesslich des Bundesrats – gesteckten Ziele nur erreicht werden können, wenn eine schnellere Gangart gewählt und neue Technologien eingesetzt werden.
Sonneneinstrahlung und CO2
Die diskutierten Technologien sind sehr unterschiedlich und befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Gemein ist ihnen, dass sie direkt beim Klimasystem ansetzen. Die Technologien lassen sich in zwei Kategorien einteilen, die sich im Ansatz unterscheiden: Diejenigen der extremsten und damit auch der umstrittensten Kategorie wollen eines der Symptome des Klimawandels, die Erwärmung, bekämpfen, indem die auf die Erde einfallende Sonneneinstrahlung gesteuert wird. Das sogenannte Solar Radiation Management (SRM) erhöht das Reflexionsvermögen der Erdoberfläche, der Wolken und der Atmosphäre. Eine dieser Technologien setzt Aerosole in den oberen Schichten der Atmosphäre frei. Oder Wolken werden durch Einbringen von Kondensationskeimen aufgehellt. Bei der zweiten Kategorie werden negative Emissionen erzeugt, das heisst: Der Atmosphäre wird eine grosse Menge CO2 entnommen und anschliessend gespeichert. Im Gegensatz zum SRM zielen die Negativemissionstechnologien (NET) also auf die Hauptursache des Klimawandels: das CO2. Die NET-Technologien basieren entweder auf einem biologischen oder auf einem technischen Ansatz: Die biologischen Technologien umfassen etwa Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Bioenergy with carbon capture and storage, BECCS), Aufforstung/Wiederbewaldung oder eine aktive Bodenbewirtschaftung. Zu den technischen Eingriffen gehören das direkte Filtern von CO2 aus der Luft oder die Speicherung von CO2 in mineralischem Material.
Schweizer Interesse an NET
Zwar verfolgt die Schweiz in ihrer Klimapolitik das SRM nicht aktiv, aber sie interessiert sich sehr für die NET. Im September 2020 hat der Bundesrat in der Beantwortung eines im Nationalrat eingereichten Postulats einen Bericht vorgelegt, der zum Schluss kommt, dass Negativemissionen für die Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius und zur Erreichung der CO2-Neutralität bis 2050 unerlässlich sind. Auch wenn unser Land sein Potenzial zur CO2-Reduktion vollständig ausgeschöpft haben werde, werde es noch Emissionen geben, insbesondere aus der Landwirtschaft, warnt Sophie Wenger Hintz von der Sektion Klimapolitik des BAFU. «Der Einsatz von NET ist daher nicht mehr bloss eine Option, sondern unumgänglich», sagt die Expertin für NET.
Ist das allen klar? Offenbar noch nicht. «In der breiten Öffentlichkeit wurde noch kaum über dieses Thema diskutiert. Die gesetzlichen Grundlagen, welche die Entwicklung dieser Technologien lenken, gilt es noch zu präzisieren.» Eine kurze Umfrage, die im Rahmen des vorliegenden Artikels durchgeführt wurde, hat bestätigt: Laien sind die Begriffe SRM oder Negativemissionen häufig unbekannt.
In politischen, wissenschaftlichen und ökologischen Kreisen werden diese Fragen hingegen schon breit diskutiert. Zwar werden die NET (fast) einstimmig als erfolgversprechend und notwendig erachtet, doch sie werfen zahlreiche Fragen auf – in erster Linie nach den möglichen Auswirkungen. «Momentan stützen die Staaten ihre Klimapolitik auf Technologien, die noch nicht im grossen Massstab erprobt wurden», erklärt Dominic Lenzi, Forscher am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. «Ein typisches Szenario zur Begrenzung der Erwärmung auf 2 Grad Celsius würde bis 2050 die Finanzierung, den Bau und die Inbetriebnahme von 1000 Standorten bedingen, an denen die Verbrennung von Biomasse mit der Abscheidung und der Speicherung von CO2 kombiniert wird.» Gelinge dies nicht, wären künftige Generationen mit einem CO2-Überschuss konfrontiert, der eine Klimaerwärmung von über 3 Grad Celsius bewirke, warnt der Forscher.
Gerechte Risikoverteilung
Und es stellen sich noch weitere ethische Fragen: «Um mehr Biomasse zu verbrennen, mit dem Ziel, CO2 zu speichern, wird logischerweise mehr Land und Wasser benötigt, was die Lebensmittelsicherheit gefährden und die Biodiversität bedrohen könnte», betont Dominic Lenzi. Gewissen Schätzungen zufolge würde die in grösserem Rahmen stattfindende Anwendung biologischer Technologien, wie BECCS oder Aufforstung, eine Landfläche erfordern, die zweimal so gross ist wie Indien. Daher sei auch die Frage nach einer möglichen Verschärfung des Nord-Süd-Gefälles berechtigt, meint Lenzi: «Besteht nicht das Risiko, dass die Länder im Norden die Länder im Süden bezahlen, damit diese Flächen zur Verfügung stellen?» Der Forscher erklärt, dass in Anbetracht des Klimanotstands die Nutzung von NET im grossen Massstab in Betracht gezogen werden müsse. Aber die Bedingungen dafür müssten klar sein: «Ihre Nutzung ist in internationalen Abkommen zu regeln, die eine gerechte Risikoverteilung gewährleisten.»
Laut Dominic Lenzi ist das grösste ethische Problem im Zusammenhang mit den NET jedoch anders gelagert: «Wenn Sie Machthabern – momentan noch fiktive – Technologien anbieten, die eine Lösung des Klimaproblems in Aussicht stellen, liefern Sie ihnen einen Vorwand, ihre Bemühungen zur Eindämmung der Klimaerwärmung nicht mehr voranzutreiben.» Seiner Ansicht nach ist es daher von grundlegender Bedeutung, dass die NET nicht anstelle der allgemeinen Bestrebungen zur Beschränkung von CO2-Emissionen zum Einsatz kommen, sondern «vielmehr als Ergänzung zu diesen Bemühungen verwendet werden».
Wie Auswirkungen abfedern?
Neben den Ansätzen, die direkt auf das Klimasystem einwirken sollen, verspricht eine Technologie eine bessere Anpassung an den Klimawandel: das Genome Editing. Gerade die Landwirtschaft sieht sich wegen der Erderwärmung und der zu erwartenden klimatischen Extremereignisse mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Deshalb wird daran gearbeitet, mittels Kreuzungen Pflanzen zu entwickeln, die besser an Trockenheit und Hitze angepasst sind, die aber auch widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten und Schädlingen sind. Dieser Prozess braucht allerdings Zeit, das Genom Editing hingegen bietet kurzfristiger Lösungen.
Diese Technologie nutzt sogenannte Genscheren wie TALEN oder CRISPR/Cas. Gemäss den Befürwortern heben sich diese Hilfsmittel von den anderen Methoden durch ihre relative Einfachheit und ihre Zugänglichkeit ab. So ermöglichen sie es etwa, Gene oder Genabschnitte individuell zu verändern. Sie können aber auch an einer Transgenese ohne Einsatz von Vektoren beteiligt sein (d. h. ohne Einschleusen eines Transgens). Es wäre so möglich, bei einer bestehenden Handelssorte gezielt individuelle Eigenschaften einzuführen, etwa eine Resistenz gegen eine Krankheit. «Diese molekularen Hilfsmittel wecken viele Hoffnungen, rasch leistungsfähigere Sorten bereitzustellen», erklärt Anne Gabrielle Wüst Saucy, Chefin der Sektion Biotechnologie des BAFU. Sie präzisiert, dass sich diese neuen Sorten noch in der Validierung befinden: «Auch wenn die Phase für Forschung und Entwicklung scheinbar verkürzt wird, muss die Risiko- und Leistungsbewertung in der Praxis bestätigt werden. Und das braucht Zeit.»
Andererseits häufen sich vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung auch kurzfristige Wetterschwankungen zwischen Dürreperioden und extremen Niederschlägen. Es fragt sich, ob die Genom-Editierung Lösungen für diese Herausforderungen bieten kann. Und ein weiterer Gedanke drängt sich auf: «Seit mehreren Jahren stellen wir einen Rückgang bei der Vielfalt der anbaufähigen Sorten fest. Man kann sich auch fragen, ob eine Steigerung der Diversität den Auswirkungen des Klimawandels auf die schweizerische Landwirtschaft nicht besser Rechnung tragen würde als die Nutzung der Genom-Editierung», hält Anne Gabrielle Wüst Saucy fest.
Vorsorgeprinzip zuerst
Gegenwärtig lässt sich noch nicht abschätzen, inwiefern die Genom-Editierung zeitliche Einsparungen ermöglicht. Ausserdem sind die Risiken dieser Technologie momentan noch nicht hinreichend bekannt. Daher ist es unabdingbar, die Forschung zu vertiefen und schrittweise vorzugehen. Anne Gabrielle Wüst Saucy erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass «das Vorsorgeprinzip oberste Priorität hat».
Eva Gelinsky, Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH), unterstreicht ebenfalls die Notwendigkeit, mehr über die Genom-Editierung zu erfahren. «Die ersten Studien haben gezeigt, dass Prozesse wie CRISPR/Cas nicht nur den Zielbereich des Pflanzengenoms verändern, sondern anderswo auch indirekte Folgen haben.» Es ist daher von grösster Wichtigkeit, die geltende Gentechnikgesetzgebung sowie das Vorsorgeprinzip immer im Blick zu haben. «Das Vorsorgeprinzip kommt in Situationen zum Zug, wo sich schwere Schäden ergeben können.» Daher sind nicht nur präventive Massnahmen zu ergreifen, sondern auch Daten zu sammeln, die es erlauben, die Wahrscheinlichkeit solcher Schäden zu bestimmen. Denn nur auf dieser Grundlage kann das Risiko abgeschätzt werden. Es ist wichtig, kritisch zu prüfen, ob diese Technologien einen signifikanten Beitrag zur Bewältigung der Herausforderung leisten können, welche die Klimakrise für die Landwirtschaft bedeutet. Grundsätzlich ist Eva Gelinsky der Meinung, dass ein Systemwandel in unserer Landwirtschaft wichtiger ist, als auf die prioritäre Anwendung der neuen Technologien zu setzen.
Ethik als Kompass
In Anbetracht der enormen Herausforderung, die der Klimawandel für die Weltbevölkerung darstellt, könnte die Nutzung neuer Technologien ein Teil der Lösung sein. Aber wie können diese Mittel optimal eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Beurteilung noch nicht möglich ist oder wenn sie – in gewissen Fällen – eher nach Science-Fiction klingen? «Die Ethik kann uns als Kompass dienen», meint Andreas Bachmann, der beim BAFU für ethische Fragen zuständig ist. Forscher Dominic Lenzi teilt diese Ansicht und bedauert, dass die Ethik als Wegweiser bei der Gesetzgebung noch zu wenig zum Tragen kommt.
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Letzte Änderung 01.12.2021