Verantwortung kennt keine Landesgrenzen

Die Schweiz lagert die durch ihren Konsum verursachten Umweltbelastungen immer mehr ins Ausland aus. Müssen wir mehr Verantwortung für weltweite Umweltprobleme wie den Rückgang der Biodiversität übernehmen? Aus ethischer Sicht ist die Antwort klar.

Text: Mike Sommer

Wer trägt die Verantwortung für Umweltbelastungen im Ausland?

Die Umweltbelastungen nehmen in der Schweiz stetig ab. Gemäss einer im Auftrag des BAFU durchgeführten Studie («Umwelt-Fussabdrücke der Schweiz», siehe Box S. 19) verursachte eine in der Schweiz lebende Person 2015 rund 19 Prozent weniger Umweltbelastungen als 20 Jahre zuvor. In absoluten Zahlen war der Rückgang mit minus 6 Prozent im selben Zeitraum zwar geringer, was sich mit dem Bevölkerungswachstum erklärt. Doch die Menschen in der Schweiz belasteten die Luft und die Gewässer insgesamt weniger und hielten ihren Treibhausgas-Ausstoss zumindest konstant. Haben wir unsere Aufgaben also gemacht und unsere Verantwortung wahrgenommen? Andreas Bachmann, im BAFU für die Bearbeitung ethischer Aspekte des Umweltschutzes zuständig, relativiert: «Trotz einiger Verbesserungen sind wir in vielen Bereichen noch weit davon entfernt, die umweltpolitischen Ziele zu erreichen, zu denen wir uns bekennen.»

Trügerische Bilanz

Was das Bild von der «sauberen» Schweiz trübt, ist die Tatsache, dass drei Viertel der durch den inländischen Konsum verursachten Umweltbelastungen im Ausland anfallen – Tendenz steigend. Anders formuliert: Wir lagern die Umweltschäden über Importe zunehmend in andere Länder aus. Besonders deutlich ist dies bei der Biodiversität. Im Gegensatz zu anderen Indikatoren ist der Biodiversitäts-Fussabdruck der Schweiz (siehe Box S. 19) von 1996 bis 2015 nicht kleiner, sondern um 14 Prozent grösser geworden. Genau betrachtet wurde er innerhalb der Schweizer Grenzen zwar durchaus kleiner. Gleichzeitig aber nahmen die konsumbedingten Biodiversitätsverluste im Ausland markant zu. Ursache dieser Entwicklung sind vor allem die wachsenden Importe pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse, für deren Produktion im Ausland grosse Flächen umgenutzt werden. Ob wir nun Kaffee aus Zentralamerika, Kakao aus Westafrika, Palmöl aus Asien oder Soja aus Südamerika importieren: Viele Produkte wachsen dort, wo einst Lebensraum für Pflanzen und Tiere war. Die steigende Nachfrage in der Schweiz trägt andernorts zur Ausdehnung der Landwirtschaftsflächen und damit zum Biodiversitätsverlust bei.

Anbau mit hohen Umweltrisiken

Die eingangs erwähnte Studie zeigt, wie sehr die Schweiz über ihre Verhältnisse lebt. Demnach verursacht eine hier lebende Person im Durchschnitt eine Umweltbelastung, die dreimal höher ist als das langfristig verträgliche Mass. Das heisst: Wenn weltweit alle so konsumieren würden wie die Menschen in der Schweiz, wären drei Erden notwendig. Der WWF-Bericht «Risky Business» (2020) zeigt am Beispiel verschiedener Rohstoffe, welche Flächen im Ausland für die Produktion von land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen mit Bestimmungsort Schweiz bewirtschaftet werden. So war zur Deckung des Kakaobedarfs der Schweiz zwischen 2015 und 2019 eine Fläche von durchschnittlich über 300 000 Hektaren pro Jahr erforderlich. Obschon die Schweiz nur 0,1 Prozent der Weltbevölkerung stellt, beansprucht sie rund 3 Prozent der Kakao-Anbauflächen. Diese Zahl muss zwar relativiert werden, weil die Hälfte des importierten Kakaos nach seiner Verarbeitung in der Schweiz wieder exportiert und im Ausland konsumiert wird. Aber auch so liegt unser Kakaokonsum weit über dem globalen Durchschnitt – und entsprechend höher sind auch die von uns verursachten Umweltbeeinträchtigungen. Mehr als die Hälfte der Kakaoimporte stammt aus Ländern, in denen der Anbau häufig zu Umweltschäden führt. Auch Palmöl, Kaffee und Soja sind global betrachtet Produkte mit hohem Umweltrisiko, bei denen die Schweiz einen grossen Flächen-Fussabdruck aufweist.

Aber kann man die Menschen in der Schweiz grundsätzlich überhaupt für die Abholzung von Urwäldern und das Artensterben in fernen Ländern mitverantwortlich machen? «Wenn wir das Verursacherprinzip als Kriterium zur Beantwortung der Frage beiziehen, dann lautet die Antwort: Ja, klar!», sagt Andreas Bachmann. «Verantwortlich für einen Schaden ist, wer ihn mit dem eigenen Verhalten verursacht, sofern er oder sie sich dessen bewusst ist oder zumindest bewusst sein könnte.» Bachmann wehrt sich allerdings gegen eine ausschliessliche Schuldzuweisung an die Konsumierenden: «Auch die Produzenten tragen Verantwortung, wenn sie um die Folgen ihrer Tätigkeit wissen, und das Gleiche gilt für den Handel, für Investoren und Anleger.» Es sei zwar schwierig, die Verantwortung präzise aufzuteilen und zuzuordnen. Allerdings wüssten alle an der Wertschöpfungskette eines Produkts Beteiligten, dass ihre Tätigkeit Umweltschäden verursacht – «oder sollten es zumindest wissen».

Handeln muss, wer die Mittel hat

Die Frage nach der «Schuld» für den Biodiversitätsverlust lässt sich mit dem Verursacherprinzip also beantworten. Komplexer ist die Frage, was zu tun ist, um Umweltschäden durch unseren Konsum zu reduzieren. Hier kommt für Andreas Bachmann mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip ein weiteres Kriterium dazu, das sich ethisch begründen lässt: «Etwas an einer unhaltbaren Situation ändern müssen diejenigen, die dazu überhaupt die Mittel haben.» Nicht zulässig wäre es, die Verantwortung einfach den Kakaobauern und -bäuerinnen aufzubürden, die Wald roden, um ihren Familien das Überleben zu sichern. In der Pflicht sieht der Ethiker die, welche das Know-how und die Mittel haben, um den Bäuerinnen und Bauern zu helfen, auf umweltverträgliche Anbaumethoden umzusteigen. Möglich wäre etwa, ertragreiche Kakaosorten in Monokulturen durch weniger ertragreiche zu ersetzen, die im Schatten von Bäumen gedeihen. Dies können sich die Betroffenen aber nur leisten, wenn ihnen der Handel und die Konsumierenden für ihr Produkt einen höheren Preis bezahlen.

Eine Frage der Gerechtigkeit

«Ethisch betrachtet haben alle den gleichen Anspruch auf die Ressourcen dieser Welt, um ihre minimalen Bedürfnisse zu decken», sagt Andreas Bachmann. Dies gelte auch für die Ressourcen Luft, Wasser, Boden oder Biodiversität. Deren Nutzung und die daraus entstehenden Umweltbeeinträchtigungen seien weltweit extrem ungleich verteilt. Für den Ethikberater des BAFU ist es eine Frage der Gerechtigkeit, eine globale Perspektive einzunehmen: «Wir in der Schweiz haben unser Guthaben aufgebraucht. Deshalb müssen wir zuerst unser eigenes Konsumverhalten ändern.»

Fussabdruck und planetare Belastbarkeitsgrenzen

Um die Umweltbelastungen eines Landes zu bemessen, werden verschiedene Methoden angewandt. Die Produktionsperspektive erfasst die inländische Umweltbelastung durch die Haushalte und die Wirtschaft, nicht aber jene durch importierte Rohstoffe, Güter und Dienstleistungen. Sie wird beispielsweise in den internationalen Klimaverhandlungen verwendet. Ein umfassenderes Bild der Nachhaltigkeit eines Landes vermittelt die Konsumperspektive (auch Fussabdruckperspektive genannt). Sie erfasst die Umweltbelastung der konsumierten Produkte über die ganze Lieferkette hinweg. Die Konsumperspektive wird vom BAFU verwendet, um die globalen Umweltbelastungen durch den Konsum in der Schweiz darzustellen.

Das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen betrachtet neun für das System Erde wichtige ökologische Dimensionen, bei denen ein Überschreiten der Grenzen gravierende Folgen für die Menschheit haben könnte. Mit ihrem Treibhausgas-Fussabdruck überschreitet die Schweiz das planetenverträgliche Mass (hochgerechnet auf die Weltbevölkerung) um das 23-fache. Der Biodiversitäts-Fussabdruck der Schweiz ist dreimal so hoch wie der Schwellenwert, der sich aus den Belastbarkeitsgrenzen herleiten lässt. 

Bekannter als die vom BAFU verwendeten Fussabdruck-Indikatoren ist der «ökologische Fussabdruck» des Global Footprint Network. Er misst den Verbrauch natürlicher Ressourcen und rechnet ihn in globale Hektaren (gha) um. Im Schnitt stehen weltweit jedem Menschen rechnerisch 1,6 gha zur Verfügung. Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz beanspruchen mit ihrem Lebensstandard 2,8-mal so viel, nämlich rund 4,5 gha (Stand 2017). Deshalb ist ihr Konsum nicht nachhaltig. Der «ökologische Fussabdruck» erfasst die Ressourcen Ackerbau, Fischerei, Wald- und Weidewirtschaft, CO2-Emissionen und Siedlungen, wobei im Fall der Schweiz die CO2-Emissionen mit einem Anteil von rund 73 Prozent am stärksten ins Gewicht fallen. Eine Schwäche des «ökologischen Fussabdrucks» liegt darin, dass er für eine umfassende Beurteilung der Nachhaltigkeit wichtige Faktoren nicht beachtet, darunter den Wasserverbrauch und die Schädigung der Biodiversität.

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Letzte Änderung 01.12.2021

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