Lokale Nachhaltigkeitsinitiativen: «Handeln, nicht nur reden»

24.2.2021 - In der Schweiz gibt es Hunderte von lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen: Repair-Cafés und Unverpackt-Läden vermehren sich im ganzen Land rasant. Was bewegt und motiviert die Menschen dazu? Und was bewirken die Initiativen?

Text: Peter Bader

Unverpackt-Laden «Tante Emma» in Münsingen (BE)
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«Kommt und schaut selbst, was in der Region und in Maurers Gärtnerei gewachsen ist», schrieb This Rutishauser zur Neueröffnung des Unverpackt-Ladens «Tante Emma» in Münsingen (BE). Der Geograf und Wissenschaftsjournalist betreibt das Lokal zusammen mit einem kleinen Team und unterstützt von 50 Genossenschafterinnen und Genossenschaftern. Endlich liegen die ohne Verpackung angebotenen Waren in den Silos und Fässern sowie auf den Gestellen bereit. «Wir sind mit Herzblut bei der Sache und möchten damit die Welt ein ganz kleines bisschen besser und freundlicher machen», lautete sein Bekenntnis in den sozialen Medien.

Solche Unverpackt-Läden schiessen im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden. Am gleichen Wochenende öffneten auch Läden in Glarus, Biberist (SO) und Thun (BE) ihre Tore. Teilen, Tauschen, Reparieren: Angebote und Initiativen, die auf einen nachhaltigen Konsum zielen, haben Konjunktur. Ebenso Aktionen, bei denen Lebensmittel «gerettet» oder selbst produziert werden. Denn immer mehr Menschen legen Wert auf einen ökologischen Lebensstil. Mit gutem Grund: Die heutige Konsum- und Wirtschaftsweise der Schweiz ist nicht mit den Belastbarkeitsgrenzen des Planeten vereinbar, wie etwa der Umweltbericht 2018 des BAFU aufzeigt. Um dies zu ändern, setzen Bürger und Unternehmerinnen bei sich selbst an und erkunden neue Wege für ökologisch verträgliche Lebens- und Wirtschaftsformen.

Wie zum Beispiel Simone Alabor: Mit «Who is Nik. Das Projektlabor für zukunftsfähiges Wirtschaften» – hat die 34-jährige Zürcherin in Zusammenarbeit mit Engagement Migros die Plattform #MoveTheDate Switzerland ins Leben gerufen. Dort präsentieren Privatpersonen oder Start-ups innovative Ideen: Die 26-jährige Anja Glover aus Lausanne zum Beispiel hat das «Schoggifestival» initiiert und will damit zeigen, wie nachhaltige Schokoladenproduktion geht. Die Aargauerin Nicole Blum produziert mit ihrer Firma No Bullshit möglichst nachhaltige Naturkosmetik. Und Andreas Fehr aus Zürich macht Mode aus Fischernetzen.

Die Firma Neumühle stellt aus alten Fischernetzen Bademode her.
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Erdüberlastungstag verschieben

Die Idee hinter der Plattform ist einfach: Mit solch nachhaltigen Engagements soll der sogenannte Earth Overshoot Day eines Jahres weiter hinausgeschoben werden – also der Tag, an dem die Weltbevölkerung die natürlichen Ressourcen aufgebraucht hat, die ihr für ein Jahr zur Verfügung stehen würden. Den Rest des Jahres lebt die Menschheit auf Kosten des Planeten. Simone Alabor wuchs in einer Familie auf, der ein respektvoller Umgang mit Tieren und der Umwelt wichtig war. Sie versucht auch heute, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen, obwohl es ihr durchaus nicht immer leichtfällt, «den inneren Schweinehund zu überwinden». Sie ist allerdings überzeugt, dass attraktiv aufbereitete Plattformen wie #MoveTheDate Switzerland einen gewichtigen Beitrag leisten können: «Sie zeigen innovative, pragmatische oder modisch ansprechende Lösungen, auch solche, die Spass machen. Damit erreichen wir ein grösseres Publikum. Das bringt mehr als Erziehen und Belehren.»

Auch dem Umweltwissenschaftler Matthias Probst liegt die Umwelt am Herzen. Zusammen mit seiner Frau und dem zweijährigen Sohn wohnt er im Hunziker Areal in Zürich-Leutschenbach, einem innovativen Labor für alternative Wohn- und nachhaltige Lebensformen. Seine Familie ist Teil einer 14-köpfigen Wohngemeinschaft mit zwei Kindern. Insgesamt beherbergt das Areal rund 1300 Personen in 13 Wohnhäusern. Das Wohnungsangebot reicht von Studios und Wohnateliers für Einzelpersonen bis hin zu 12-Zimmer-Gemeinschaftswohnungen. Die Vision der Überbauung ist die 2000-Watt-Gesellschaft. Zahlreiche Angebote wie gemeinsame Kleiderflicktage oder kollektives Einkaufen und Lagern von nachhaltig produzierten Lebensmitteln sollen dazu beitragen. In der Überbauung fehlen zudem Autoparkplätze, was das Besitzen eines Fahrzeugs erschwert. «Das Hunziker Areal schafft ein möglichst umweltfreundliches Lebensumfeld, an das sich die Menschen anpassen können. Das fällt ihnen leichter, als wenn sie ihr Leben anderswo radikal ändern müssen», sagt Matthias Probst, der in Zürich für die Grünen im Gemeinderat sitzt.

Auf der Plattform #MoveTheDate Switzerland präsentieren Privatpersonen und Start-ups innovative Nachhaltigkeitsideen.
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Mehr als Gemüse

Zum Angebot gehört auch das Projekt der Solidarischen Landwirtschaft «Meh als Gmües» (MaG, siehe Box). Es versorgt seine Mitglieder seit April 2016 mit frischem, saisonalem und ökologisch produziertem Gemüse. Für die landwirtschaftlichen Arbeiten sind die derzeit 400 Genossenschaftsmitglieder ­gemeinsam mit zwei Festangestellten besorgt. Da sie zugleich Produzentinnen und Konsumenten sind, gibt es immer Abnehmerinnen und Abnehmer für die Ernte. Einmal jährlich bezahlen die Mitglieder einen Beitrag für eine wöchentliche Gemüseportion, die sie in einem von zwei Depots selbst abholen. Sie helfen an mindestens fünf Halbtagen pro Jahr bei der Gemüseproduktion, in der Logistik, der Administration oder bei Genossenschaftsanlässen mit. «Der direkte Kontakt führt dazu, dass die Leute besser verstehen, was und wie man nachhaltig produzieren kann. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist es auch ein Bildungsprojekt», ist Matthias Probst überzeugt. «Die Arbeit stärkt zudem den Gemeinschaftssinn und kann auch einfach nur Freude machen.» Der Umweltwissenschaftler hat in den vergangenen Jahren die Nachhaltigkeitsaktionen im Hunziker Areal wissenschaftlich begleitet, unter anderem das Angebot «Meh als Gmües».

Das Projekt der Solidarischen Landwirtschaft «Meh als Gmües» gibt es seit 2016. Die Genossenschaftsmitglieder arbeiten selbst auf dem Feld.
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Die Vernetzung fördern

Auch Christoph Bader vom interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (Centre for Development and Environment, CDE) der Universität Bern erforscht die Wirksamkeit kleiner, lokaler Initiativen zugunsten der Umwelt. Er ist selbst in der Stadt Bern an einem Unverpackt-Laden beteiligt, weil «man nicht nur darüber reden, sondern auch handeln muss». 200 lokale Initiativen in der Schweiz und in ganz Europa haben Christoph Bader und andere CDE-Forschende im Rahmen des Programms Energieforschung Stadt Zürich untersucht. Dazu gehören etwa Repair-Cafés, der Verleih von (Last-)Velos, eine schwedische Recycling-Mall oder die Genossenschaft basimil.ch, die Bio-Milchprodukte für den lokalen Markt herstellt, Käserei-Praktika anbietet und ihren Abonnentinnen und Abonnenten Besuche auf dem Hof ermöglicht. Es geht dabei nicht zuletzt um die Breitenwirkung der Angebote, die ja letztlich Voraussetzung dafür ist, dass gesamtgesellschaftlich weniger Energie und andere Ressourcen verbraucht werden.

Diesbezüglich fiel die Bilanz allerdings zwiespältig aus. Zwar gebe es vielerorts ein «überraschend reichhaltiges Bild an Einzelinitiativen», wie die CDE-Forschenden in ihrem Schlussbericht festhalten. Auffallend sei aber, dass gerade in Zürich die vorhandene Vielfalt kaum sichtbar werde und die verschiedenen Angebote ausserhalb ihres eigenen Konsumfelds wenig vernetzt seien. Der Grund: Die treibenden Kräfte hinter den jeweiligen Initiativen seien meist mit den eigenen Aufgaben voll beschäftigt, weshalb kaum Zeit für den Austausch und die gegenseitige Unterstützung bleibe. Deshalb empfehlen die Forschenden, unterstützende Netzwerke, Plattformen und Dachverbände zu stärken. «Dies könnte eine grosse Hebelwirkung auf den Erfolg der bestehenden wie auch auf die Gründung neuer Initiativen haben», sagt Christoph Bader. Einen solchen Dachverband gibt es in Genf bereits seit 2004: Die alternative Handelskammer Après-GE zählt heute rund 300 Kollektivmitglieder – von Wohngenossenschaften, FabLabs (Technologielabore für alle) über Vereine wie etwa Terrasses sans frontières, der sich die Begrünung von Flachdächern auf die Fahne geschrieben hat, bis hin zu partizipativen Lebensmittelläden wie Le Nid. In einem laufenden Projekt beschäftigen sich Christoph Bader und sein Team nun gezielt mit weiteren Erfolgsfaktoren für die Verstetigung und Verbreitung von lokalen Initiativen.

«Aus den Nischen herausholen»

Beim BAFU beobachtet man die Entwicklung dieser lokalen Initiativen mit grossem Interesse. Derzeit läuft ein Evaluationsprojekt, um herauszufinden, wie solche Initiativen eine möglichst breite Wirkung erzielen können. Natürlich sei es wichtig, dass kleine Gruppen zusammenfänden und sich gegenseitig dazu motivierten, einen nachhaltigeren Lebensstil zu pflegen, sagt Andreas Hauser von der Sektion Ökonomie beim BAFU. «Jeder spürt: Ich bin nicht alleine. Das tut gut.» Seine Kollegin Karin Fink von der BAFU-Sektion Umweltbeobachtung ergänzt, das Ziel müsse jedoch immer eine möglichst breite Community sein, um die Initiativen aus den Nischen herauszuholen: «Es geht darum, Ideen in ein möglichst grosses Umfeld einzupflanzen, damit sich gesellschaftlich relevante Effekte erzielen lassen.»

Wie nachhaltiges Verhalten fördern?

Im Zürcher Hunziker Areal sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Nachhaltigkeitsinitiativen gestartet worden. Umweltwissenschaftler Matthias Probst hat sie mit Studierenden im Rahmen eines Projekts der Stiftung Mercator an der ETH Zürich wissenschaftlich begleitet. Eine Masterarbeit widmete sich dem Projekt der Solidarischen Landwirtschaft «Meh als Gmües» (MaG). Deren zentrale Erkenntnis ist, dass «die Teilnahme bei MaG das Potenzial hat, nachhaltige Verhaltensweisen zu fördern: Die Studienteilnehmenden fingen an, mehr Gemüse zu essen, lernten neue traditionelle Gemüsesorten kennen und veränderten ihre Art und Weise zu kochen.» Ausserdem wurde ein angepasstes Einkaufsverhalten beobachtet: So kauften die Leute weniger häufig in Supermärkten oder auf dem Wochenmarkt ein, weil sie das Gemüse bei MaG bezogen. «Angebote wie MaG sollten vermehrt dazu genutzt werden, nachhaltige Lebensweisen zu fördern», ist Matthias Probst überzeugt. Allerdings können solidarische Landwirtschaftsbetriebe preislich nicht mit Supermärkten konkurrieren. Denkbar wäre für ihn deshalb irgendeine Form von finanzieller Unterstützung. «Für Menschen mit finanziellen Problemen wäre es dann einfacher, sich solchen Projekten anzuschliessen.»

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Letzte Änderung 24.02.2021

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