Bremsabrieb: Die unterschätzte Gefahr

Für Feinstaubemissionen im Verkehr sind längst nicht nur Verbrennungsmotoren verantwortlich. Lange Zeit wurde unterschätzt, welchen Anteil Reifen und insbesondere Bremsen daran haben. Auf der Suche nach Lösungen haben BAFU und Empa Erstaunliches zutage gefördert.

Text: Peter Bader

Autofahrerinnen und Autofahrer, die ihre Alufelgen pflegen und regelmässig auf Hochglanz polieren, ärgern sich über den grauen Staub, der sich dort immer wieder ansammelt. Bei einem grossen Teil davon handelt es sich allerdings nicht um Schmutz von der Strasse, sondern um Feinstaub. Dieser stammt nicht nur aus Verbrennungsmotoren, sondern auch von Bremsen, Reifen, Kupplungen und dem Verschleiss der Fahrbahnoberfläche. 

200 000 Tonnen Mikrogummi

Mit dem Griff zum Putzlappen kann die Autofahrerin oder Autofahrer die Felgen schnell wieder auf Vordermann bringen. Das grundlegende Problem aber bleibt bestehen. Das BAFU schätzt, dass hierzulande jährlich rund 14 000 Tonnen Kunststoffe in die Böden, die Oberflächengewässer und deren Sedimente gelangen. Die vom BAFU in Auftrag gegebene Studie «Plastik in der Schweizer Umwelt» gab 2020 zu bedenken, dass derzeit «grosse Unsicherheiten» bezüglich der effektiv in die Umwelt eingetragenen Mengen von Plastik bestehen. Die heutigen Mengenangaben basieren demnach einerseits auf hochgerechneten Punktmessungen und andererseits auf Modellabschätzungen. Auch bezüglich der Auswirkungen vor allem von Mi­kroplastik (Teilchengrösse kleiner als 5 mm) auf Menschen und Umwelt ortet die Studie noch grossen Forschungsbedarf. Da sich Kunststoffe nur sehr langsam abbauten und sich in der Umwelt anreicherten, müssten im Sinne des Vorsorgeprinzips aber deren Einträge in die Umwelt so weit wie möglich reduziert werden.

Sicher ist: Den grössten Anteil an der Verschmutzung der Natur durch Kunststoffe haben hierzulande Pkw- und Lkw-Reifen. Autofahrenden ist das Problem meist nicht bewusst. Das Profil am Reifen ist zwar abgenutzt, und die Garagistin oder der Garagist rät dringend zu neuen Pneus; aber kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wohin sich das verlorene Profil verflüchtigt hat. 

Eine Studie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) rechnete 2018 vor, dass sich «in der Schweiz über die letzten 30 Jahre rund 200 000 Tonnen Mikrogummi in unserer Umwelt angesammelt haben». Von den Partikeln, die in die Umwelt gelangen, verbleiben gemäss dieser Studie knapp drei Viertel in den ersten 5 Metern links und rechts der Strasse, 5 Prozent gelangen in die restlichen Böden und knapp 20 Prozent in die Gewässer. Durch Massnahmen wie den Bau von Strassenabwasser-Behandlungsanlagen (SABA) lässt sich ein grosser Teil des Mikrogummis mittlerweile aus dem Wasser entfernen. Ein kleiner Teil davon kann auch aufgewirbelt und als lungengängiger Feinstaub (PM10) über die Luft weitertrans­portiert werden. Strassenreinigungen (inklusive Schmutzwasseraufbereitung) vermögen solche Aufwirbelungen zu reduzieren.

Problem auch bei Elektroautos

Lange Zeit konzentrierten sich die Bemühung­en um die Erforschung und die Reduktion von Feinstaub auf diejenigen Emissionen, die bei der Treibstoffverbrennung entstehen. Der Grund ist einfach: Das Problem war umfassend und dringend. «Sowohl für Diesel wie auch seit Kurzem für Benzin können diese Emissionen durch die Einführung von effizienten Partikelfiltern auf ein akzeptables Mass reduziert werden», sagt Giovanni D’Urbano, Chef der Sektion Verkehr beim BAFU. Seit einigen Jahren gilt die Aufmerksamkeit nun auch den Emissionen, die beim Bremsen entstehen – also wenn der Bremsbelag auf die Bremsscheibe trifft. Den Feinstaubemissionen durch Bremsen und denjenigen durch Reifenabrieb ist eines gemeinsam: Sie entstehen auch bei Elektro- und Hybridfahrzeugen. Umso wichtiger ist ihre Erforschung. 

Im Rahmen des Weltforums für die Harmonisierung der Vorschriften für Fahrzeuge der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) wurde im Sommer 2020 ein international anerkanntes Testverfahren zur Partikelmessung beim Bremsabrieb vorgestellt. Ein solches ist Voraussetzung für das Bestimmen von Grenzwerten. An der Erarbeitung dieses Testverfahrens waren auch das BAFU und die Empa beteiligt. Unter anderem untersuchten Forschende der Empa als Erste überhaupt detailliert die Beschaffenheit und die Zusammensetzung solcher Partikel unter dem Elektronenmikroskop. Die Partikelproben dazu stammten von einem Bremsenprüfstand. Das inzwischen etablierte Testverfahren wird auf der Basis eines Fahrzeugprüfzyklus durchgeführt, was den reellen Verhältnissen noch einmal näher kommt. 

Ähnlich schädlich wie Abgas

Die Empa-Ergebnisse waren erhellend und überraschend zugleich: «Ein grosser Teil der Partikel war viel kleiner, als wir es vermutet hatten», sagt Anthi Liati, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung Fahrzeugantriebssysteme der Empa. Die Ergebnisse reichten von der Mikro- bis zur Nano-Grössenordnung. Das heisst: Gemessen wurden Teilchen im Bereich von 2,5–10 Mikrometern (µm), wobei ein Mikrometer einem Tausendstelmillimeter entspricht (PM10 und PM2.5). Hinzu kamen noch feinere Partikel im Bereich von 0,1–2,5 µm (PM2.5) und ultrafeine Partikel (<0,1 µm). Ein Teil der Letzteren ist kleiner als 20 Nanometer (1 Nanometer = 1 Millionstelmillimeter). Als häufigster Bestandteil der Partikel findet sich Eisen in allen Grössenordnungen, das grösstenteils von der Bremsscheibe stammt. Hinzu kommen weitere Metalle von den Bremsbelägen. «Bremsverschleisspartikel machen einen wesentlichen Teil der nicht abgasbedingten Feinstaubpartikel aus dem Verkehr aus», hält Anthi Liati von der Empa fest. Detailliertere Informationen dazu werden auch im Auftrag des BAFU durch Messungen der Firma Particle Vision geliefert.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des King’s College in London legt nahe, dass diese Partikel für die menschliche Gesundheit ähnlich schädlich sein könnten wie diejenigen aus Verbrennungsmotoren. Demnach würde nicht nur Dieselabgas, sondern auch Bremsstaub Atemwegserkrankungen wie Lungenentzündung und Bronchitis fördern. Dafür sind offenbar insbesondere die metallenen Komponenten des Bremsstaubs verantwortlich. «Dieselabgase und Bremsabrieb scheinen gleichermassen toxisch auf Makrophagen zu wirken. Diese Immunzellen schützen die Lunge vor Krankheitserregern und Infektionen. Doch der Feinstaub führt dazu, dass sie Bakterien nicht mehr aufnehmen und bekämpfen können», heisst es in der Studie.

Wann kommt der Filter?

Aber wie liessen sich Mensch und Umwelt am besten vor dem schädlichen Bremsstaub schützen? «Am effektivsten durch das Anbringen von wirksamen Partikelfiltern an der Quelle», antwortet Giovanni D’Urbano vom BAFU. Ein deutscher Filterhersteller entwickelt derzeit einen solchen Bremsstaubpartikelfilter. Dieser soll den Abrieb direkt an der Bremse auffangen. Der Filter besteht aus einem robusten Gehäuse, das direkt am Bremssattel ansetzt und die beim Bremsvorgang entstehenden Partikel auffängt. In der Testphase hat der Filter nach Angaben des Herstellers bis zu 80 Prozent der beim Bremsvorgang entstehenden Partikel aufgefangen. Gut möglich, dass der Filter bereits im Laufe des Jahres 2021 für den Verkauf bereit ist.

Giovanni D’Urbano rechnet damit, dass auf europäischer Ebene frühestens ab 2023 verbindliche Grenzwerte für Bremsstaubemissionen festgelegt sein werden, welche die Schweiz übernehmen wird. Ab dann könnten Personenwagen auch flächendeckend mit den entsprechenden Filtern ausgerüstet werden, gefolgt von Lkws und Motorrädern.

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Letzte Änderung 24.02.2021

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